**Berner Atelierwochenende DOOR-2-DOOR**
27./28./29.06.2003

**Kurator:** Marcel Henry

Dieses Werk ermöglichten: David Aebi, Jürg Curschellas, Beate Engel, Sonja Fessel, Petra Giezendanner, Judith und Jean-Claude Henry, Maya Ketterer, Jöran Lutz, Marc Munter, Stephanie Panher, Sylvia Rüttimann, National- und Gemeinderat Alexander Tschäppät, Marianne Wagner, Stephan Wyss, Permafix, Direktion für Planung, Verkehr und Tiefbau der Stadt Bern, Botanischer Garten Bern, Kunstmuseum Bern. *** **30 Kilometer von Atelier zu Atelier - eine Stadtzeichnung**

Das Berner Atelierwochenende DOOR-2-DOOR wird auch in der ganzen Stadt sichtbar sein.
Der Performer und Zeichner Bernhard Huwiler verbindet am Freitag mit einem Team alle Künstlerateliers mit 30 Kilometer orangem Klebeband. So entsteht eine komplexe, überdimensionierte Zeichnung in der Stadt, ein Netzwerk von Linien, das von Tür zu Tür geht – eine der grössten Zeichnungen, die es wohl jemals gegeben hat. Und weil Huwilers Konzept darin besteht, die Zeichnungen als vergängliches Zeichen in den Stadtraum zu setzen, wird die orange Monumentalzeichnung nur von kurzer Dauer sein: Die 30 Kilometer Klebeband werden am Samstagnachmittag wieder zusammengesammelt und zu einer monumentalen Skulptur verklebt, die im Botanischen Garten ausgestellt wird.

**Text:** Konrad Tobler, Berner Zeitung, 26.06.2003 *** **Eine Linie vernetzt Orte - Kartographie einer Kulturlandschaft**

Leben heisst Linien ziehen - bleibende und solche, die sich nach einer gewissen Zeit wieder verflüchtigen. Weisse Linien markieren temporär die Bewegungen von Flugzeugen am Himmel. Eisenbahnlinie ziehen Linien zwischen Städten, Stromleitungen zeichnen solche über die Landschaft. Der zweidimensional arbeitende Zeichner legt ein Netz aus Linien auf die Fläche, die als System zu einer Aussage gelangen. Ob auf Papier oder in der Landschaft, Linien sind Ausdruck physischer Handlungen, sie verbinden Punkte.

Huwiler ist Zeichner. Doch seine Zeichnungen zeichnet er nicht ausschliesslich auf Papier, sondern auch als Performance-Künstler in den urbanen Raum. Seine Arbeiten, wie etwa das DRAWING PROJECT (USA, 1999), DAS LOCH IM FASS (Baden, 1999) oder die SCHNURZEICHNUNG MIT SCHLAUFE (Umgebung von Thun, 2000), finden in einem realen, lebensnahen Kontext statt und konfrontieren mit Hilfe dieser direkten Kunstform ein uneingeweihtes Publikum mit Unalltäglichem. Im DRAWING PROJECT etwa hat der Künstler, der von 1995 - 1999 in Minneapolis gelebt hat, über die Vereinigten Staaten verteilt 21 performanceartig inszenierte Zeichnungen mit blauem Sand erzeugt, gefilmt und zu Videos verarbeitet.

Eine ähnliche Vorgehensweise liegt der GROSSEN STADTZEICHNUNG zu Grunde. Im Rahmen von door-2-door.ch, den Berner Ateliertagen, hat der Zeichner Huwiler am Nachmittag des 27. Juni 2003 mit sechs in orange Overalls gekleideten Performerlnnen insgesamt über 20 Kilometer orange Linien aus Klebeband durch die ganze Stadt von Ateliertür zu Ateliertür gelegt. Über 60 Kunstlaboratorien verband er auf diese Weise sichtlich und vernetzte so kreative Räume in einer monumentalen Stadt¬zeichnung. Am folgenden Tag wurde das überdimensionale Disegno auf den Gehwegen Berns vom sechsköpfigen Performance-Team mühsam wieder entfernt und in Form von Klebestreifenknäueln eingesammelt. Die komplexe überdimensionale Zeichnung im urbanen Raum ist innerhalb von Stun¬den angelegt worden - und genau so schnell hatte sie wieder aus dem Stadtbild zu verschwinden, denn das Entfernen der Linien war integraler Bestandteil der Performance.

Die monumentale Skulptur, komponiert aus den Überresten der Aktion, die anlässlich des im Botanischen Garten stattfindenden door-2-door Sommernachtsfestes gezeigt wurde, verdeutlicht den ephemeren Charakter der Aktion. In den aus Universalorangen Knäueln bestehenden Haufen integrierte der Künstler drei Videomonitore, auf denen Filme der Aktion gezeigt wurden. Auch wenn dabei etwa die Grössenverhältnisse des Projektes bedingt verloren gingen, da die bewegte Kamera den Gesamteindruck des Happenings nicht wirklich einzufangen vermochte, entstand in der Installation eine enorme Verdichtung.

Die Thematik des Entstehens und Verschwindens hat bei Huwiler Konzept. Bereit« In früheren Arbeiten hat er sich intensivst mit dem Erschaffen und Vergehen auseinandergesetzt. So etwa in der Arbeit HÄNSELUNDGRETELMASCHINE, die im Jahr 2000 erstmals im Musee Arlaud in Lausanne gezeigt wurden und die Thematik des Zeichnens und des Verschwindens aufnahm. Huwiler hat in dieser Installation ein System erschaffen, das sich neutralisiert. Aus einer Öffnung eines sich um die eigene Achse drehenden Industriestaubsaugers wird blauer Sand gestreut, der eine Linie um das Gerät zeichnet. Durch die Drehung des Staubsaugers und den festmontierten Absaugschlauch auf der anderen Seite wird der Sand unmittelbar nach der Streuung wieder aufgesogen. Aus den zwei Akten resultiert eine Nullsumme. Im Gegensatz zu diesem kurzlebigen autodestruktiven Geschehen hatte die GROSSE STADTZEICHNUNG eine leicht höhere Lebensdauer. Diese Zeichnung bezieht sich insbesondere auch durch hohe Komplexität auf einen bestehenden Kontext: die Stadt, die Kulturlandschaft.

Fasziniert von Landkarten hat Huwiler für die GROSSE STADTZEICHNUNG ausgehend von Punkten ein Netz ausgearbeitet, das in einem urbanen Raum eine Kunstlandschaft nachzeichnet: Die topographische Karte als simulatives Konstrukt der Realität ist eine Thematik, wofür sich Huwiler seit Jahren interessiert, wie es der 1.80x 1.60 Meter grosse Linolschnitt TWIN CITIES aus dem Jahre 1995 -1999 verdeutlicht. Darauf hat Huwiler die Stadt Minneapolis als Labyrinth anhand der Strassenlinien nachgebildet. Die Verkleinerung als künstlerische Ausdrucksform fasziniert Kunstschaffende insbesondere, weil Reduktion immer auch ein Komprimieren bedeutet. Karten sind Modelle und zwingen zur Reduktion auf eine überschaubare Grosse. Doch auch die Inversion hat seine Faszination: Seit der Einführung der Land Art steigern Künstler ihre Werke immer wieder ins Unermessliche, wie etwa auch die Arbeit GROSSE STADTZEICHNUNG, die nach einem Entwurf auf A4 auf einer Fläche von über 10 km2 realisiert wurde - eine Grosse, deren Ausmass für das Individuum kaum mehr greifbar ist. Diese Dimensionen zwingen den Betrachter das Kunstwerk aus dem Verstand zu konstruieren. An die Stelle des Bildmediums Papier oder Leinwand tritt die Stadt in ihrer Gesamtheit, die durch raumbesetzende Eingriffe des Künstlers verändert wird.

Während es sich bei den DRAWING PROJECTS noch um Zeichnungen handelte, handelt es sich bei der GROSSEN STADTZEICHNUNG um eine zeichnerische Skulptur. Ganz bewusst hat Huwiler nämlich in dieser Arbeit anstelle von Spray oder Kreide wie in früheren Arbeiten festes Klebeband eingesetzt. Dieses Material ist im Gegensatz zu den anderen wesentlich konkreter und hätte selbst starker Witterung standgehalten. Doch kaum war die auffällige Linie präsent, war sie wieder weg - und existiert ausschliesslich noch in der Einbildung weiter. Das auf diese Weise plastisch bearbeitete Stadtgebiet bezieht Performer und Passanten gleichermassen mit ein und bildet eine Gegentendenz zum White Cube, in dem alle Elemente der Aussenwelt draussen bleiben. Huwilers GROSSE STADTZEICHNUNG sucht die Interaktion mit dem öffentlichen Raum - und behauptet sich ausserhalb eines musealen Kontextes.

**Text:** Marcel Henry, Kurator/Kunstkritiker, Bern/Basel 2004 ***