**Reiz & Risiko/Risk & Allure**
im Hof des Haus für Kunst Ur
Kuratoren: Sylvia Rüttimann und Peter Stohler
07.07.-07.09.2006

**[Mandala](https://bernhardhuwiler.kleio.com/record/work/19)** 07.07.-07.09.2006
**[Aktion](https://bernhardhuwiler.kleio.com/record/work/20)**: 07.07.2006
**[Auflösung des Mandalas](https://bernhardhuwiler.kleio.com/record/work/21)** und das **[Gebet](https://kleio--prod.s3.amazonaws.com/profiles/2620/records/257452/files/105454--gebet-jetzt-geht-es-um-die-wurst.mp3?AWSAccessKeyId=AKIAJPNSV3EFW7KPK75A&Signature=9QSInbUCpyifXlbRJhFAYjis52k%3D&Expires=1651140001)**: 07.09.2006

**Dank an**: Sylvia Rüttimann, Peter Stohler, Walo Wittwer, Jürg Cruschellas, Albin Brun und Marc Untemäher, René Wegmüller (AU COCHON ROSE, Bern), Aaron Baumann, Andreas Günter, Louis Mataré (LOMOTION AG)

**Fotos**: Nika Spallinger und Walo Wittwer

**Video**: Walo Wittmer *** Mein Werk "jetzt geht es um die Wurst" fertigte ich speziell für das Haus für Kunst Uri und die Ausstellung "Reiz und Risiko" an. Der Vorplatz des Haus für Kunst Uri ist bedeckt mit Kies aus der Reuss. Da erstellte ich ein Mandala mit einem Durchmesser von 8 Meter. Ich verwendete gelbliches und schwarzes Kies, die Farben des Kantonswappen Uri. Bei der Konstruktion des Mandalas liess ich mich auch vom quadratischen Grundriss und der Architektur des Schloss Rudenz in Flüelen inspirieren. Das Zentrum des Mandala jedoch bezieht sich auf das Herzstück des Meditationsbildes vom heiligen Bruder Klaus, das "Rad". Am Tag der Vernissage der Ausstellung "Reiz und Risiko" spielte Albin Brun Schwyzerörgeli und der Tubist Mark Unternährer. Ihre Musik ist ein Annäherungsversuch an alpine Musik, lustig und von enormem Sehnsuchtspotential gleichzeitig. Das Duo spielte auf zum Gesellschaftsspiel "Reise nach Jerusalem". Die Gäste der Vernissage stellten sich mit Stühlen auf den äusseren Kreis des Mandala. Bei jedem Unterbruch der Musik musste ein Mitspieler das Feld verlassen. Die vier zuletzt übrig gebliebenen Teilnehmer waren die Auserwählten für ein Gastmahl. Ihnen wurde vom Direktor des Hauses für Kunst und der Kuratorin der Ausstellung eine spezielle Wurst serviert.

**Text**: Bernhard Huwiler *** **Zwischen Stuhl und Bank, oder: das Gelobte Land**
**jetzt geht es um die Wurst - Aktion von Bernhard Huwiler**
anlässlich der Ausstellung **Reiz & Risiko/Risk & Allure**

Bernhard Huwiler ist ein Bastler, bei ihm wird das Kunstwerk zum Experimentierfeld. Man kann Bernhard Huwiler auch einen Bastler auf gedanklicher Ebene nennen. Vergleichbar zu Malern heutzutage, die sich aus dem Fundus der Kunstgeschichte bedienen, auf medial vermittelte Bilder zurückgreifen und zitieren, paraphrasieren und samplen, bemüht Huwiler philosophische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Modelle und Weltenwürfe. Er erweist sich hier als "Bricoleur" im Sinne von Lévy-Strauss, der aus alten, ihm zur Verfügung stehenden Materialien etwas Neues schafft **(1)**. Tatsächlich wird da manchmal gemischt und verheiratet, was auf den ersten Blick kaum zusammenzugehören scheint.

"jetzt geht es um die Wurst" ist eine Aktion, die Huwiler auf Einladung des Haus für Kunst, Uri in Altdorf konzipierte. Hierzu legte er im Hof des Hauses ein "Mandala" aus Kies an. Eine Kreislinie aus dunkelgrauem Kies fasste dabei eine runde Fläche aus gelblichem Kies ein, in der sich ein Quadrat befand. An jede Seite dieser Quadratfläche wiederum grenzte ein Halbkreis an, und in der Mitte des Quadrats sah man ein Rund, das wie ein Rad sechs Speichen aufwies. Diese bestechend einfache, aus nur zwei geometrischen Formen bestehende Form, erweist sich nun in ihren Bezügen sehr komplex. Denn die Formen von Kreis und Quadrat sind zwar universell, haben jedoch je nach kulturellem Umfeld eine andere Bedeutung. Da ist einerseits das ostasiatische Mandala, das von buddhistischen Mönchen in einer rituellen Zeremonie mit Sand ausgelegt wird. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und bezeichnet schlicht einen Kreis oder ein Quadrat mit einem Zentrum. Es stellt das göttliche Prinzip dar und gleichzeitig die Vergänglichkeit, sodass ein Mandala aus Sand nach seiner Erstellung auch gleich wieder zerstört wird. Andererseits kann man eine solche Kreisform auch mit einer anderen Religion in Verbindung bringen, nämlich dem Christentum, was Huwiler auch macht. Explizit bezieht er sich auf eine dem Mystiker Niklaus von Flüe zugeschriebene Meditationstafel, von der es in der Kirche von Sachseln eine Temperamalerei gibt. Sie stellt im Zentrum das sich in einem Medaillon befindende Antlitz Christi dar, von dem Strahlen ausgehen, so dass es wie ein Rad aussieht.

Es ist kein Zufall, dass Huwiler gerade die Form des Mandalas für seine Arbeit gewählt hat. Seit Jahren interessiert er sich schon für abstrakte Weltentwürfe in Form von Karten. Ganz reale wie dem Stadtplan von Minneapolis, den er als Linolschnitt nacharbeitete (Twin Cities, 1995-99), oder selber entworfene, indem er in der Landschaft oder in der Stadt mit Farbe oder Klebeband Linien zog und so Markierungen setzte. Das Mandala ist nun tatsächlich zu einem Synonym für den als Karte oder geografisches Muster dargestellten Kosmos geworden, sei dies in ostasiatischen Religionen, dem Christentum oder im indianischen Gedankengut. Im Christentum kann ein Kreis und ein Quadrat auch als "Karte" einer bestimmten Stadt gelesen werden, nämlich Jerusalem – das Gelobte Land. Hier nun bot sich dem Künstler die Gelegenheit, den Faden aufzunehmen, seine Assoziationskette weiterzuspinnen, dem Werk die überraschende Wendung zu geben und das harmonische spirituelle Ordnungsprinzip mit dem Weltmodell des Wettbewerbs zu verbinden. "Reise nach Jerusalem" sollte gespielt werden, dieses brutale Spiel, bei dem die Reise ins Gelobte Land ironischerweise nicht mit spirituellen Werten verbunden wird, sondern mit Kampf und Überlebensstrategie. Dabei wurde das Mandala als Untergrund für die Übertragung des Kampfes benutzt. Etwa zwanzig Leute kämpften um den Preis, eine speziell dafür hergestellte Wurst, die am Schluss von den vier Gewinnern am Tisch, der sich in der Mitte des Kreises befand, verzehrt wurde.

"jetzt geht es um die Wurst" – Redewendung und Titel der Aktion – kann als Leitspruch unserer leistungsorientierten, dem Spirituellen nicht viel Wert beimessenden Gesellschaft gelesen werden. Wer essen will – in diesem Fall zum auserlesenen Kreis der Gäste gehören und von den Kunstexperten, d.h. dem Direktor und der Kuratorin, bedient werden will - muss kämpfen. Die barmherzige Speisung, wie sie noch auf der Gebetstafel von Niklaus von Flüe gepredigt wurde, ist ein Ding der Vergangenheit. Wenn das Mandala zerstört wird, ist das nicht Teil einer rituellen Handlung, die die Vergänglichkeit symbolisieren will, sondern Folge des Kampfes um Wurst und Leben und ein Zeichen dafür wie unbarmherzig heutzutage mit spirituellen Werten umgegangen wird. So könnte man Huwilers Aktion lesen. Tatsächlich sieht er in seinen Aktionen von einer moralischen Stellungsnahme ab. Sein Vorgehen ist es, mit grosser Spiellust die verschiedensten Modelle zusammenzuführen und uns damit zu konfrontieren. Was daraus entsteht, ist ein Hybrid von Formen und Bedeutungen, ein offenes Kunstwerk, das von jedem einzelnen von uns anders gedeutet werden kann **(2)**, oder, um den Künstler selber zu zitieren, "eine lebendige Strassenmischung, zwischen Stuhl und Bank".

**Text**: Sylvia Rüttimann, Bern, 2006 **1)** Lévi-Strauss beschreibt den Unterschied zwischen dem Ingenieur und dem Bastler. Der erstere geht von neuen Materialien aus, der "Bricoleur" produziert etwas Neues aus alten Materialien. Claude Lévi-Strauss, "Das wilde Denken", Frankfurt: Suhrkamp, 1973.
**2)** Text dazu Umberto Eco "Das offene Kunstwerk", Frankfurt: Suhrkamp, 1977. *** VIDEO ZU SEHEN AUF VIMEO: https://vimeo.com/599509854