**Stage, Pavillon der Stadtgalerie**
Hodlerstrasse 22+24A, Bern
03.02.-03.03.2006 **Künstlergespräch**
im Rahmen von Urban Gossip
02.03.2006
Beate Engel, Beat Mathys, Konrad Tobler und Bernhard Huwiler. *** **Kurzbeschreibung BH** Melanin City ist das Model einer idealen Stadt. Auf dem Boden des Pavillons der Stadtgalerie wurde zweidimensional die chemische Strukturformel von Melanin, dem menschlichen Hautpigment projiziert. Die Umrisse der gesamten Zeichnung wurden mit Pflastersteinen ausgelegt.
An der äusseren Fassade des Pavillons, gegen die Hodlerstrasse hin, wurde die Fahne Beautiful City montiert. *** Der PROGR_Atelierkünstler BERNHARD HUWILER beschäftigt sich seit langen mit dem Thema "Beautiful City". Als Fortsetzung einer Reihe von Aktionen und Installationen baut er im Stage Pavillon das Modell einer «idealen» Stadt mit Pflastersteinen auf. Dem imaginären Stadtplan von Melanin City liegt die chemische Strukturformel von Melanin zugrunde, einem Pigment, das beim Menschen für die Färbung der Haut, Haare oder Augen verantwortlich ist. Die begehbare wabenartige Formel von Melanin City steht für ein urbanes Ordnungsgefüge, das sich aus verschiedenen genetischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen zusammensetzt. Hier treffen Utopie und Realität, Fleisch und Stein, Mensch und Architektur aufeinander. *** **Melanin City, Installation in der Stadtgalerie Bern**

Bernhard Huwiler ist ein wahrer Stadtkünstler. Die Stadt ist sein Agierfeld. Er gibt einem Konglomerat von Werken den Titel "Beautiful City". Seine Aktionen im urbanen Raum bestehen meist aus performativen Zeichnungen oder Aufzeichnungen. Diese werden nicht mit Pinseln ausgeführt, sondern z.B. mit einer Städtischen Putzmaschine, oder mit Klebband, wie am Berner Atelierwochenende door-2-door, wo er das Netzwerk zwischen den verschiedenen Künstlerateliers mit einer 30 km langen Klebbandlinie von Atelier zu Atelier markierte. Oft dokumentiert er seine Aktionen mit der Videokamera, wie den riskanten PROGR Rundgang. Dieser führte die Frontfassade des Gebäudes hoch, über das Dach, nach einer Abseilaktion durch die Kanalisation zum Ausgangspunkt vor den Haupteingang des Atelierhauses. Ein wunderschönes Standbild dieser Aktion zeigt den Künstler, wie er mit dem Kopf aus dem Untergrund vor dem PROGR am Waisenhausplatz wieder auftaucht, wie ein Kanalarbeiter ausgerüstet, mit Helm und leuchtendem Schutzanzug mit der Aufschrift "Beautiful City" auf dem Rücken. Der durch die Aktion beschmutzte Anzug provoziert die Frage: Wodurch zeichnet sich überhaupt eine "schöne" Stadt aus?

Im Rahmen des Beautiful City Komplexes zeigt Bernhard Huwiler am Stage-Pavillon eine riesige rote Fahne, die von einer gelben und blauen Linie akzentuiert wird. Sie wurde nicht über dem Gebäude befestigt , sondern ist wie ein Bild oder ein Vorhang vor der Glasfront platziert, so dass ein direkter körperlicher Bezug entsteht. Die Stadtansicht von innen durch die Glasscheibe erscheint rötlich gefärbt. Rot ist eine Signalfarbe, steht für Gefahr, Verbotenes, aber auch für Verführung und für die Revolution. Und natürlich ist auch die Schweizer Fahne rot. Fahnen und Flaggen sind an vielen Orten in der Bundeshauptstadt präsent, doch bei dieser Fahne handelt es sich nicht um ein Nationalsymbol, sondern um eine künstlerische Manifestation. Die Fahne zitiert die Bildfolge "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue" ("Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau") von Barnett Newman. Dem amerikanischen Maler ging es mit seinen monumentalen Farbfeldern darum, die Betrachter auf sich selbst zurückzuwerfen und dem unmittelbaren Eindruck von Farbe auszusetzen. Newman sagt: "The problem of a painting is physical and metaphysical, the same as I think life is physical and metaphysical."

Oben in der Ecke der Fahne "Beautiful City" aufgedruckt, ein Slogan, der auf die "City Beautiful"- Bewegung verweist, die zwischen 1890 und 1900 in den USA entstand, als Reaktion gegen die zunehmende Kriminalität und Verwahrlosung der Stadtzentren. Mit Ästhetik sollte die Moral und soziale Kontrolle wiederhergestellt werden. Erhöhte Sauberkeit, Graffitiverbote, Grünbepflanzungen usw. sollen auch heute noch dazu beitragen, Städte attraktiv zu machen und das Verhalten der Bewohner und Passanten steuern. Auch hier in Bern gibt es die Sauberkeitskampagne "Wish me" und immer wieder politische Vorstösse, die mehr Ordnungsmassnahmen fordern. Diese Fahne ist jedoch keine Preismarke für einen schön gepflegten Stadtgarten, sondern sie markiert einen der verrücktesten Unorte in Bern, wo soziale Kontrolle und Chaos direkt aufeinander stossen. Bernhard Huwilers Arbeit zielt auf temporäre Veränderung, auf Bewusstseinsmachung, provoziert Fragen… und die sind an diesem Ort nötig. Vertreter eines städtischen Verschönerungsvereins hätten damit zwar ihre Mühe, aber aus künstlerischer Sicht handelt es sich hier tatsächlich um einen der schönsten Unorte in Bern, da er einer der wenigen Orte ist, der dem gepflegten Kleinstadtidyll so gar nicht entspricht.

Bernhard Huwiler sagt: "Beautiful City ist keine Stadt, kein geographischer Ort. Beautiful City ist ein Konglomerat, ein offener Denkraum, ein Erfahrungsraum." Einen solchen Denkraum eröffnet er mit seiner Installation "Melanin City" . Einem imaginären Stadtplan liegt die chemische Strukturformel von Melanin zugrunde, einem Pigment, das beim Menschen für die Färbung der Haut, Haare oder Augen verantwortlich ist. Die Rassenfrage kristallisiert sich unter anderem an Farbtönungen, zunehmend auch in der Schweiz. Die begehbare wabenartige Formel von "Melanin City" steht für ein urbanes Ordnungsgefüge aus verschiedenen genetischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen. Hier treffen Utopie und Realität, Fleisch und Stein, Mensch und Architektur aufeinander.

Eine Stadt, die sich ein Molekül zum Vorbild nimmt, dies ist eigentlich gar nicht so eine abwegige Idee, wenn man bedenkt, dass die Körpermetapher schon von Anfang an als Ausgangspunkt für die Städteplanung genommen wurde, was auch Richard Sennet in seiner Publikation "Fleisch und Stein" aufzeigt, wo u.a. dargelegt wird, wie sich Strassensysteme schon im 18. Jahrhundert an das menschliche Venensystem anlehnen und dass die Entwürfe von Städten wie Washington oder Paris auf der Vorstellung von lebendigen atmenden und zirkulierenden Körpern basieren, mit entsprechenden Kontrollfunktionen der Bewegung der Massen, der Entwässerungs- und Belüftungskonzepte.

Rem Koolhas schreibt: "Utopia ist das schmutzige Geheimnis der Architektur. Im Grunde ihres Wesens behauptet jede Architektur, die Welt zu verbessern. Doch wie alle, die jemals mit Utopia in Berührung gekommen sind, wurden die Architekten dafür schwer bestraft. Einer Hand voll zerbrechlicher Modelle stehen einhundert Millionen Opfer gegenüber. Der Architekt ist im Angesicht Utopias in einer unmöglichen Situation: Ohne Bezug darauf ist seine Arbeit wertlos. Doch mit diesem Bezug wird sie zur Komplizin schwerer Verbrechen" Es hat schon viele visionäre Stadtmodelle gegeben, die versuchen, die Herrschaftsoptimierung oder das harmonische menschliche Miteinander durch gezielte Stadtplanung zu garantieren: Die Stadt als Ort von Ordnung, Ruhe und Gemeinschaftssinn, als perfekte Synthese aus Territorium und offenem Gefäss, als stabile und stimulierende Heimat für Individuen und Familien, für Einheimische und Fremde, Einwohner und Gäste, für Industrie, Handel, Handwerk, Kunst; für Kommunikation und Interaktion, für sozialen, kulturellen, intellektuellen und kommerziellen Austausch und Erfindungsgeist... all das ist bis jetzt Utopie geblieben, da Utopien sofort in sich kollabieren, wenn sie verordnet werden.

Dieses Spannungsfeld von gesellschaftlicher Utopie und Diktatur, von Paradies und Hölle, von Traum und Wahn findet seinen Ausdruck in den für die Installation benutzten Pflastersteinen. Diese werden benutzt, um Städte und Strassen zu bauen, sind aber auch das Material für Strassenkämpfe. Viele Utopienstädte sind streng hierarchisch, geometrisch und symmetrisch aufgebaut und sind jeweils auf ein Zentrum bezogen. Melanin City jedoch hat kein Zentrum, sondern ist ein wabenartiges Netzwerk, in dem jede einzelne Einheit ein Verbindungsglied zur nächsten ist. Es ist möglich, von hier nach dort zu kommen, und doch gibt es einzelnen Waben, die in sich geschlossen sind. Wäre das ein Modell, das funktionieren könnte?

**Text**: Beate Engel, Bern 2006